von Aleyna Kamali
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24. Dezember 2024
Der feine Unterschied Krankheitsverläufe sind bei Frauen und Männern unterschiedlich – so auch die Symptomatik. Während ein Herzinfarkt bei Männern meist mit einem typischen Engegefühl in der Brust einhergeht, kündigt er sich bei Frauen oft mit Rücken- und Bauchschmerzen, Schweißausbrüchen sowie Übelkeit an. Andersherum können sich Depressionen bei Männern zwar auch mit Antriebslosigkeit und/oder gedrückter Stimmung äußern, aber zum Teil kommen zusätzlich Reizbarkeit und aggressives Verhalten hinzu. Eine geschlechtersensible Medizin will Stereotype überwinden, damit Erkrankungen rechtzeitig diagnostiziert werden. Dabei geht es aber um mehr als „nur“ um Männer und Frauen. Um schneller zur richtigen Diagnose zu kommen, müssen umfangreiche Daten gesammelt werden. In der Forschung liegt – und vor allem: lag – der Fokus jedoch oft auf dem männlichen Patienten. Bei Frauen wird häufiger als bei Männern von einer psychosomatischen Ursache ausgegangen und sie erhalten so seltener eine adäquate Schmerzbehandlung. Die Dosierung von Medikamenten ist in der Regel ebenfalls auf den männlichen Körper abgestimmt. Jedoch werden Medikamente von Männern und Frauen unterschiedlich aufgenommen, verstoffwechselt und ausgeschieden. Die Ausscheidung erfolgt oft über die Niere. Weil Männer mehr Nierenkörperchen haben und dadurch tendenziell mehr Primärharn, eine Vorstufe des Urins, flacht die Wirkung von Medikamenten bei ihnen schneller ab. Eine Dosierempfehlung für „Erwachsene“ ist entsprechend ungenau, da hier viel feiner differenziert werden müsste. Das bedeutet, dass die Dosierung meist nicht nur unpassend für Frauen ist, sondern auch für trans-, intergeschlechtliche oder nicht-binäre Menschen sowie für Männer, die vom Idealtypus des Standard-Patienten abweichen. Für eine individuelle Diagnose und Behandlung ist es daher von zentraler Bedeutung auch Genderaspekte zu berücksichtigen. Medizinische Leitlinien überarbeiten Zu den meisten Erkrankungen gibt es Medizinische Leitlinien. Sie werden systematisch entwickelt, um Ärzte bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Eine Berücksichtigung der Dimension Geschlecht ist hier besonders wichtig. Dabei spielen nicht nur biologische Faktoren eine Rolle, sondern auch geschlechtsspezifische Unterschiede im Gesundheitsverhalten. So werden bei Männern häufig Erkrankungen wie Osteoporose, Brustkrebs und Depressionen nicht erkannt. Denn Anzeichen wie Reizbarkeit, aggressives Verhalten und Suchterkrankung werden nicht sofort mit der Diagnose Depression in Verbindung gebracht. Männer sind häufig zurückhaltender, wenn es darum geht, vermeintliche Schwächen zuzugeben oder Hilfeangebote anzunehmen. Die Suizidrate bei Männern mit Depressionen liegt drei bis vier Mal höher als bei Frauen. "Die Dosierung von Medikamenten ist in der Regel ebenfalls auf den männlichen Körper abgestimmt. Jedoch werden Medikamente von Männern und Frauen unterschiedlich aufgenommen, verstoffwechselt und ausgeschieden." Es gibt viel zu tun ... ... um eine geschlechtersensible Medizin voranzutreiben. In 2022 kamen auf Einladung der Universität Bielefeld erstmalig Vertreter*innen von acht nordrhein-westfälischen Medizinischen Fakultäten – darunter auch die der Universität Münster – zusammen. Nach regem Austausch zu Strategien zur Berücksichtigung von Geschlechteraspekten in der Medizin an ihren Universitäten und zur Verankerung in Studienordnungen der Fakultäten und in der humanmedizinischen Forschung, beschlossen sie, das Netzwerk Geschlechtersensible Medizin NRW zu gründen. GenderMed-Wiki An der Uni Münster wird geschlechtersensible Medizin bereits seit vielen Jahren durch Prof. Bettina Pfleiderer als Pflichtwahlfach im klinischen Abschnitt des Medizinstudiums unterrichtet. Die Medizinerin ist deutschlandweit und international eine gefragte Expertin auf diesem Gebiet. Sie macht sich dafür stark, dass das Thema in der Medizin in die Pflichtlehre verankert wird. Um das zu befördern, hat sie mit ihrem Team „GenderMed-Wiki“ entwickelt, eine Austausch- und Wissensplattform zu Themen rund um Geschlecht und Medizin mit vielen Fallstudien und Lehrmaterialien, die für Lehrende frei verfügbar sind